Kreditvertrag widerrufen

Widerruf von Verbraucherkreditverträgen nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH

In Deutschland laufen derzeit Millionen von Verbraucherkreditverträgen, von denen ein nicht unerheblicher Teil zwischen den Jahren 2010 und 2016 abgeschlossen wurde. Wer die Entwicklung des Zinsniveaus verfolgt hat, weiß, dass die Zinsen seinerzeit zwar bereits niedriger waren als beispielsweise in den Hochzinsphasen der 1980er oder 1990er Jahre, dass die Zinsen jedoch seither nochmals deutlich gesunken sind und bei Abschluss neuer Verträge heute historisch niedrige Zinsen verlangt werden. Ärgerlich für alle diejenigen Verbraucher, die vor ein paar Jahren einen Kreditvertrag bei ihrer Bank abgeschlossen haben und noch eine lange Zinsbindung haben.
Es ist aufgrund des im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Prinzips der Vertragstreue (pacta sunt servanda) prinzipiell nicht ohne weiteres möglich, sich von einem inzwischen unliebsamen Vertrag zu lösen, nur weil man derzeit bessere Konditionen bekommt. Es gibt jedoch auch Ausnahmen. Eine wichtige Ausnahme ist das gesetzliche Widerrufsrecht nach § 495 BGB, das bei einem Verbraucherdarlehensvertrag einzuräumen ist. Nach § 355 Abs. 2 BGB beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage und beginnt mit Vertragsschluss, sofern nichts anderes bestimmt ist. Sofern der Verbraucher fristgerecht seine auf Abschluss des Kreditvertrages gerichtete Willenserklärung widerrufen hat, sind beide Parteien nach § 355 Abs. 1 BGB nicht mehr an den Darlehensvertrag gebunden.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang der "fristgerechte" Widerruf, da die Frist nach der gesetzlichen Regelung eben prinzipiell 14 Tage beträgt und im Grundsatz nach Ablauf der Widerrufsfrist kein Widerruf mehr möglich ist. Doch es gibt Ausnahmen. Ist beispielsweise die Widerrufsbelehrung fehlerhaft, hat in vielen Fällen die 14tägige Widerrufsfrist noch überhaupt nicht zu laufen begonnen, so dass der Verbraucher auch noch Jahre nach dem Abschluss des Kreditvertrages den Widerruf erklären kann. Man spricht hier auch vom sogenannten Widerrufs-Joker.

Das Urteil des EuGH vom 26.03.2020 zum Widerrufs-Joker beim Kreditvertrag (Az.: C-66/19- Kreissparkasse Saarlouis: Unzulässiger Kaskadenverweis

Ein fast schon bahnbrechendes Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 26.03.2020 verkündet und damit zahlreichen privaten Kreditnehmern Hoffnung gemacht. Grundlegend hat der EuGH festgehalten: „Verbraucherkreditverträge müssen in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben.“
In dem vom EuGH zu entscheidenden Fall eins Verbraucherdarlehens war im Kreditvertrag folgende Regelung zum Widerrufsrecht enthalten:
"Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E‑Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat. …“
Eine vergleichbare Regelung ist in so gut wie allen Verbraucherkreditverträgen enthalten, die in den letzten Jahren abgeschlossen wurden.
Fraglich ist, ob mit einer solche Regelung im Sinne der Rechtsprechung in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angegeben sind. Der EuGH sagt eindeutig: Nein!
Denn es handelt sich hier um eine sogenannte Kaskadenverweisung. Die konkrete Widerrufsbelehrung, die von der Kreissparkasse Saarlouis und fast allen anderen Kreditinstituten verwendet wurde, verwies zur Bestimmung der Widerrufsfrist auf § 492 Abs. 2 BGB. In der bis 12.06.2014 gültigen Fassung verwies § 492 Abs. 2 BGB auf Art. 247 §§ 6 - 13 EGBGB in der bis zum 12.06.2014 gültigen Fassung. Der Verbraucher war also zur Bestimmung des Beginns der Widerrufsfrist gehalten, zunächst § 492 Abs. 2 BGB anzusehen und sodann auf Art. 247 § 6 EGBGB. Damit war der Verbraucher aber gehalten, eine juristische Beurteilung des Fristbeginns vorzunehmen, was ihm laut EuGH nicht zugemutet werden kann mit der Folge, dass die Widerrufserklärung gerade nicht in klärer und prägnanter Form den Beginn der Widerrufsfrist angibt.
Eine derartige Kaskadenverweisung ist nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs damit unzulässig und jeder Verbraucher, der eine solche Widerrufsbelehrung in seinem Kreditvertrag stehen hat, sollte überprüfen lassen, ob er den Vertrg deswegen auch noch Jahre nach Vertragsabschluss wirksam widerrufen kann.

Welche Kreditverträge können jetzt noch widerrufen werden?

Welcher Kreditvertrag auch noch nach Ablauf von 14 Tagen widerrufen werden kann, wird wohl die spannendste Frage im Bereich Widerruf von Kreditverträgen bleiben. Es gibt zahlreiche Arten von Verbraucherkrediten und wir möchten im Folgenden einen Überblick über die Auswikungen des EuGH-Urteils auf die unterschiedlichen Kreditarten geben und Ihnen als Kreditnehmer Ihre Möglichkeiten aufzeigen. Nicht umfasst sind jedoch Kredite, die für eine gewerbliche oder bereits ausgeübte freiberufliche Tätigkeit aufgenommen wurden, denn hierfür sieht das Gesetz kein Widerrufsrecht vor.
Vorab erlauben wir uns den Hinweis, dass diese Übersicht eine konkrete juristische Beratung durch einen Rechtsanwalt im Einzelfall nicht ersetzen kann. Gerne berät Sie Rechtsanwalt Andreas Ernst Forsthoff zum Widerruf von Kreditverträgen.

Verbraucherkreditvertrag / Ratenkredit widerrufen

Die meisten Verbraucherkreditverträge in den Jahren 2010 - 2016 haben eine vergleichbare Klausel zum Beginn des Widerrufsrechts wie in dem vom EuGH entschiedenen Fall. Außerhalb des Bereichs der Immobilien-Darlehen wurden vergleichbare Klauseln auch schon in der Zeit vor 2010 verwendet. Sofern Ihr Verbraucherdarlehen eine vergleichbare Klausel in der Widerrufsbelehrung aufweist, sollten Sie überprüfen lassen, ob nicht noch Jahre nach Vertragsschluss ein Widerruf möglich ist. Dann spricht man von einem ewigen Widerrufsrecht oder auch von einem Widerrufs-Joker.
Prinzipiell gilt der Widerrufs-Joker nach dem Wortlaut des EuGH-Urteils für jede Art von Verbraucherkreditvertrag. Die Rechtsprechung des BGH zum Widerruf von Kreditverträgen war jedoch nicht unbedingt verbraucherfreundlich, so dass damit zu rechnen ist, dass - je nach Art des Kreditvertrages - hierüber noch erbittert vor den Gerichten gestritten werden dürfte.
Ein einfacher Ratenkreditvertrag dürfte in der Praxis am unproblematischsten zu widerrufen sein. Hier ist nach dem Widerruf auch nicht die Kaufsache zurückzugeben, sondern es findet lediglich eine Rückabwicklung des Darlehens statt.

Autokredit widerrufen

Zahlreiche Verbraucher nehmen zur Finanzierung eines Fahrzeugkaufs einen Kreditvertrag auf. Da ein Fahrzeugkredit nicht grundpfandrechtlich abgesichert ist, sind die Zinsen viel höher als etwa bei Immobiliendarlehen.
Die meisten Autokredite haben eine Widerrufsbelehrung, die der vom EuGH beanstandeten Widerrufsbelehrung entspricht. Während etwa bei Immobiliendarlehen die Widerrufsbelehrungen im Jahr 2016 geändert wurden, wurden die nunmehr vom EuGH als unzulässiger Kaskadenverweis beanstandeten Widerrufsbelehrungen auch lange Zeit nach 2016 noch verwendet. Wer also in den letzten Jahren einen Autokredit abgeschlossen hat, hat gute Aussichten, einen Widerruf des Darlehensvertrages zu erklären und im Ergebnis eine Umschuldung zu einem deutlich günstigeren Zinssatz vorzunehmen.

(Auto-)Finanzierungs-Leasing widerrufen

Ähnliches wie beim Autokauf mittels verbundenem Kreditvertrag gilt auch für das Leasing von Fahrzeugen (oder prinzipiell auch anderen Gegenständen). Die meisten Leasingverträge haben eine entsprechende Widerrufsbelehrung, die nach dem Urteil des EuGH unwirksam ist.

Immobilienkredit widerrufen?

Der EuGH verwies in seiner Urteilsbegründung darauf, dass die Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, an welcher sich der EuGH bei seinem Urteil vom 26.03.2020 orientierte, grundsätzlich für Kreditverträge gilt. Sie gilt jedoch nicht für Kreditverträge, die entweder durch eine Hypothek oder eine vergleichbare Sicherheit, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlich für unbewegliches Vermögen genutzt wird, oder durch ein Recht an unbeweglichem Vermögen gesichert sind sowie für Kreditverträge, die für den Erwerb oder die Erhaltung von Eigentumsrechten an einem Grundstück oder einem bestehenden oder geplanten Gebäude bestimmt sind und außerdem auch nicht für Kreditverträge, bei denen der Gesamtkreditbetrag weniger als 200 EUR oder mehr als 75.000 EUR beträgt.
Mit anderen Worten gilt die Richtlinie nicht für Immobilienkredite. In dem konkret zu beurteilenden Fall war es um ein Darlehen über 100.000 EUR gegangen, weshalb alleine aufgrund der Darlehenssumme unabhängig von der Eigenschaft als Immobilienkredit die Richtlinie keine direkte Wirkung hat. Der EuGH hat dann jedoch ausgeführt, dass er gleichwohl zur Entscheidung berufen ist, da Deutschland zwar eine eigenständige nationale Regelung getroffen hat, dass jedoch aus einem Unionsrechtsakt übernommene Bestimmungen einheitlich ausgelegt werden müssen, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern. Hieran anschließend beantwortete der EuGH die Vorlagefragen des Landgerichts Saarbrücken und führte aus, dass der Kaskadenverweis unzulässig ist, ohne Einschränkungen etwa deshalb, weil der Darlehensvertrag im konkreten Fall ein Immobiliendarlehen war oder weil die Darlehenssumme über 75.000 EUR lag.
Daher spricht vieles dafür, dass das ewige Widerrufsrecht / der Widerrufs-Joker bei einer derartigen Widerrufsbelehrung auch bei Immobiliendarlehen und unabhängig von der Höhe der Darlehenssumme gilt.
Der BGH hat jedoch nur 5 Tage nach dem Urteil des EuGH in einem Beschluss vom 31.03.2020 (Az.: XI ZR 581/18) nochmals daran festgehalten, dass der Verweis in der Widerrufsinformation auf § 492 Abs. 2 BGB in Kombination mit der beispielhaften Aufzählung von Pflichtangaben nach den Maßstäben des nationalen Rechts (Art. 247 § 6 Abs. 1 EGBGB) klar und verständlich sei. Das Urteil des EuGH sei für Immobiliendarlehen, die mit einem Grundpfandrecht gesichert sind, nicht einschlägig, da die zugrunde liegende EU-Richtlinie diesen Fall ausgenommen habe und zur Beurteilung der insoweit einschlägigen deutschen Vorschriften zum Widerrufsrecht ausschließlich die nationalen deutschen Gerichte berufen seien.
Der BGH stellt sich daher an dieser Stelle gegen die Rechtsprechung des EuGH, weshalb wohl ziemlich viele Streitfälle auf die nationalen unterinstanzlichen Gerichte zukommen.
Ein Verbraucher, der einen Immobilienkredit abgeschlossen hat, sollte sich daher unbedingt anwaltlich beraten lassen, um die Erfolgsaussichten eines Widerrufs zu prüfen.

Kann ich meinen Kreditvertrag jetzt widerrufen?

Wie die obigen Ausführen hoffentlich zeigen, macht das Urteil des EuGH Verbrauchern, die sich von ihrem Darlehensvertrag lösen wollen, Mut, es sind jedoch im konkreten Fall zahlreiche rechtliche Fragen zu prüfen. Rechtsanwalt Andreas Ernst Forsthoff vertritt Verbracher gegenüber Banken und kann die Erfolgsaussichten eines Widerrufs in Ihrem Fall prüfen. Erfahrungsgemäß versuchen die meisten Banken nach einem Widerruf erst einmal, diesen abzuwehren und die rechtlichen Voraussetzungen zu bewegen. Nach Anzeige der anwaltlichen Vertretung sind dann auf einmal zumindest einige Banken deutlich gesprächsbereiter. Auch wenn in vielen Fällen daher eine gerichtliche Auseinandersetzung nötig sein wird, um die Wirksamkeit eines erklärten Widerrufs klären zu lassen, ist in anderen Fällen immerhin eine kurzfristige gütliche außergerichtliche Einigung mit den Banken möglich.
Gerne können Sie uns kostenlos und unverbindlich Ihren Darlehensvertrag per Email zukommen lassen:

Bitte teilen Sie uns in der Email auch Ihre Telefonnummer mit. Nach unverbindlicher Prüfung durch uns melden wir uns bei Ihnen. Nach diesem ersten unverbindlichen Telefonat entscheiden Sie sodann, ob für Sie ein Widerruf in Betracht kommt und ob Sie unsere Kanzlei mit Ihrer Vertretung beauftragen möchten.

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