Europäischer Gerichtshof bejaht das Recht, vergessen zu werden durch Google: Urteil vom 13.05.2014 (Rechtssache C-131/12)

Google muss in bestimmten Fällen Suchergebnisse löschen

Wir alle kennen es und es ist nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken: Die schnelle Suche über Suchmascheinen wie Google. Ob man mal eben schnell Informationen über neue Geschäftspartner, die Bonität eines Schuldners oder etwas über alte Freunde herausfinden möchte, Google macht es mit wenigen Klicks möglich. Die technische Revolution ermöglicht uns heute einen Zugriff auf Informationen, die noch vor wenigen Jahren überhaupt nicht oder nur mit erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand zu erhalten waren.
Die neue Informationsflut hat jedoch auch eine Schattenseite. Wo es Personen gibt, die sich Informationen beschaffen, gibt es andererseits Personen, über die berichtet wird. Handelt es sich um eine positive Berichterstattung, hat der Betroffene oft nichts dagegen. Bei einer negativen Berichterstattung ist dies in der Regel anders. Auch wenn jedoch positiv oder zumindest wertneutral berichtet wird, kann es ein Interesse des Betroffenen geben, dass über ihn überhaupt nicht berichtet wird. Diese widerstreitenden Interessen müssen zu einer praktikablen Lösung zusammengeführt werden. Ansatzpunkt hierfür ist die Datenschutzrichtlinie. In unserer beruflichen Praxis erleben wir es immer wieder, dass sich Betroffene gegen Berichterstattung über sie in den Printmedien oder auch online zur Wehr setzen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jetzt ein Recht auf Vergessenwerden verankert (Urteil vom 13.05.2014, Rechtssache C-131/12).

Recht auf Vergessenwerden: Der Fall des EuGH

In dem zu entscheidenden Fall ging es um den Spanier Mario Costeja González, der im Jahr 1998 über eine Zwangsversteigerung sein Haus verloren hatte. In einer spanischen Lokalzeitung war seinerzeit über die Pfändung und Zwangsversteigerung berichtet worden. Jahre später archivierte Google die Daten, die seither online abrufbar sind. Auch über die Person Mario Costeja González waren die seinerzeitigen Informationen aus dem Jahr 1998 online ohne weiteres via Google aufzufinden, obwohl Mario Costeja González nach eigenen Angaben bereits vor Jahren die Forderungen beglichen hatte und die Sache damit erledigt war. Mario Costeja González legte daraufhin bei der spanischen Datenschutzagentur AEPD Beschwerde ein, der stattgegeben wurde. Google klagte daraufhin vor einem spanischen Gericht, das die Rechtssache zur Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof vorlegte.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13.05.2014 (Rechtssache C-131/12)

Der Europäische Gerichtshof stellte fest, dass ein Suchmaschinenbetreiber wie Google grundsätzlich verpflichtet werden kann, Suchergebnisse. Ausgehend von der Datenschutzrichtlinie (Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31) stellte der Europäische Gerichtshof fest, dass ein Suchmaschinenbetreiber wie Google eine „Erhebung“ von Daten im Sinne der Richtlinie vornimmt, Daten, die er dann mit seinen Indexierprogrammen „ausliest“, „speichert“ und „organisiert“, auf seinen Servern „aufbewahrt“ und gegebenenfalls in Form von Ergebnislisten an seine Nutzer „weitergibt“ und diesen „bereitstellt“. Dabei handelt es sich um eine Verarbeitung der Daten im Sinne der Datenschutzrichtlinie. Der Suchmaschinenbetreiber ist demzufolge verantwortlich für die Verarbeitung der Daten. Der Gerichtshof beschäftigt sich weiter mit der Problematik, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten, die von einem solchen Suchmaschinenbetreiber vorgenommen wird, es jedem Internetnutzer ermöglicht, sich einen strukturierten Überblick über die im Internet verfügbaren Informationen einer Privatperson zu verschaffen. Damit liegt ein Eingriff in die Rechte des Betroffenen vor. In diesem Zusammenhang führt der Gerichtshof in einer vorab veröffentlichten Pressemitteilung Folgendes aus:
"Wegen seiner potenziellen Schwere kann ein solcher Eingriff nach Ansicht des Gerichtshofs
nicht allein mit dem wirtschaftlichen Interesse des Suchmaschinenbetreibers an der Verarbeitung der Daten gerechtfertigt werden."

Da jedoch auch der Internetnutzer ein berichtigtes Interesse an einer umfassendenden Berichterstattung beziehungsweise Informationsbeschaffung hat, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Es
"ist daher ein angemessener Ausgleich zwischen diesem Interesse und den Grundrechten der betroffenen Person, insbesondere des Rechts auf Achtung des Privatlebens und des Rechts auf Schutz personenbezogener Daten, zu finden. Zwar überwiegen die Rechte der betroffenen Person im Allgemeinen auch gegenüber dem Interesse der Internetnutzer; der Ausgleich kann in besonders gelagerten Fällen aber von der Art der betreffenden Information, von deren Sensibilität für das Privatleben der betroffenen Person und vom Interesse der Öffentlichkeit am Zugang zu der Information abhängen, das u. a. je nach der Rolle, die die Person im öffentlichen Leben spielt, variieren kann."

Dabei statuierte der Gerichtshof nunmehr auch ein Recht des Betroffenen auf Vergessenwerden:
"Auch eine ursprünglich rechtmäßige Verarbeitung sachlich richtiger Daten kann
im Laufe der Zeit nicht mehr den Bestimmungen der Richtlinie entsprechen, wenn die Daten in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls , insbesondere der verstrichenen Zeit, den Zwecken, für die sie verarbeitet worden sind, nicht entsprechen, dafür nicht oder nicht mehr erheblich sind oder darüber hinausgehen. Wendet sich die betroffene Person gegen die vom Suchmaschinenbetreiber vorgenommene Datenverarbeitung, ist u. a. zu prüfen, ob sie ein Recht darauf hat, dass die betreffenden Informationen über sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr durch eine Ergebnisliste, die im Anschluss an eine anhand ihres Namens durchgeführte Suche angezeigt wird, mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird . Wenn dies der Fall ist, sind die Links zu Internetseiten, die diese Informationen enthalten, aus der Ergebnisliste zu löschen, es sei denn, es liegen besondere Gründe vor, z. B. die Rolle der betreffenden Person im öffentlichen Leben, die ein überwiegendes Interesse der breiten Öffentlichkeit am Zugang zu diesen Informationen über eine solche Suche rechtfertigen.

Mit anderen Worten: Es gibt grundsätzlich ein Recht darauf, im Internet auch wieder vergessen zu werden. Sprechen nicht besondere Gründe für ein überragendes Informationsinteresse der Allgemeinheit, überwiegt eine gewisse Zeit nach der Berichterstattung und nach Abklingen des mit der Berichterstattung verfolgten Zwecks der Information der Öffentlichkeit das Recht auf Vergessenwerden gegenüber dem Recht auf Veröffentlichung durch den Suchmaschinenbetreiber und dem Recht der Allgemeinheit auf Informationsbeschaffung. Der Betroffene hat in solchen Fällen somit einen direkten Anspruch gegen Suchmaschinenbetreiber wie Google auf Entfernung aus der Suchmaschine.

Was bedeutet das Urteil für die Praxis?

Es ist somit in jedem Einzelfall eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Ist eine Berichterstattung nicht mehr aktuell, kann ein Betroffener folglich regelmäßig dagegen vorgehen, in Suchmaschinen über dieses nicht mehr aktuelle Ereignis gefunden zu werden. Bei Personen des öffentlichen Lebens - Prominente oder Personen, die an einem besonders bedeutsamen Ereignis des öffentlichen Lenbes teilgenommen haben - kann die Interessenabwägung jedoch im Einzelfall auch dazu führen, dass das Interesse des Internetnutzers an einer Informationsbeschaffung überwiegt. Dann ist das Suchergebnis nicht zu entfernen. Diese Fragen und die Interessenabwägung müssen die nationalen Gerichte im Einzelfall entscheiden. Wichtig und richtig ist, dass sich ein Betroffener direkt gegen Suchmaschinenbetreiber wie Google vor einem nationalen Gericht zur Wehr setzen und dort die Entfernung von Suchmaschineneinträgen durchsetzen können.


Eingestellt am 14.05.2014 von Rechtsanwalt A. Forsthoff
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