Ist bald Schluss mit der Abmahn-Abzocke?

Neue Initiative aus dem Bundesjustizministerium zur Begrenzung der Abmahnkosten

In jüngster Zeit sind einige Fälle bekannt geworden, in denen unbescholtene Bürger zu ganz erheblichen Zahlungen verurteilt wurden, weil über ihren Internetanschluss eine Urheberrechtsverletzung erfolgt ist. Der wohl bekannteste Fall ist der eines Kölner Polizisten, der zur Zahlung von rund € 3.500,00 Anwaltkosten verurteilt wurde. Wie sich herausstellte, hatte der 20jährige Sohn der Lebensgefährtin des Polizisten über 3.000,00 Musikdateien über den Anschluss heruntergeladen. Der zunächst gegen den Polizisten geltend gemachte Schadensersatzanspruch wurde zurückgenommen, nicht jedoch die Anwaltskosten. Das OLG Köln verurteilte daraufhin in 2. Instanz den Polizisten zur Zahlung der Anwaltskosten. Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.
Hiergegen erhob der Polizist vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde. Mit

hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil des OLG Köln auf, da es gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes verstößt. Hierin ist das Recht auf den gesetzlichen Richter geregelt. Mit anderen Worten: Das OLG Köln hätte Revision zum BGH zulassen müssen. Das wird das OLG Köln nunmehr voraussichtlich nachholen müssen, dann wird der BGH über den Fall zu entscheiden haben.
Der Fall zeigt, wie erbittert gekämpft wird und mit welchen Forderungen Anschlussinhaber überzogen werden. Hätte der Polizist nicht nachweisen können, dass er selbst für die Urheberrechtsverletzungen als Täter ausscheidet, wären die finanziellen Forderungen gegen ihn wohl um ein Vielfaches höher gewesen. Auch in unserer täglichen Praxis erleben wir immer wieder, dass unbescholtene Bürger mit Forderungen von teilweise insgesamt über € 10.000,00 überzogen werden. In einigen der Fälle haben die Kinder über den Anschluss der Eltern etwas heruntergeladen, in anderen Fällen war das WLAN-Netzwerk nicht geschützt.
Dass der Musikindustrie (und der Software-, Filmindustrie etc.) durch illegale Downloads ein erheblicher Schaden zugefügt wird, kann niemand ernsthaft bestreiten. Dass ein Anschlussinhaber, über dessen Anschluss sich bislang die Kinder oder Dritte unbeaufsichtigt munter austoben konnten und der deswegen eine Mitteilung über erfolgte Urheberrechtsverletzungen erhält, zukünftig alles tun muss, um Verstöße über seinen Anschluss zu verhindern, ist nur folgerichtig.
Falsch und rechtsstaatlich bedenklich ist nach meinem Dafürhalten die bisherige Praxis. Zum einen werden für Peanuts Abmahnungen verschickt und ganz erhebliche finanzielle Forderungen gestellt. Es hat sich eine regelrechte Abmahnindustrie entwickelt, die zahlreiche und immer neue Abmahnkanzleien hervorgebracht hat, die sich mit immer denselben Textbausteinschreiben ohne nennenswerte anwaltliche Leistung eine goldene Nase zum Lasten zahlreicher Unschuldiger verdienen. Ein zweiter Kritikpunkt ist die Beweislast, die dem Abgemahnten aufgebürdet wird. Da es zugegebnermaßen immer wieder Schutzbehauptungen gibt wie "Ich war das nicht", hat die Rechtsprechung einiger Gerichte die Beweislast faktisch auf den Kopf gestellt.
Der Abgemahnte muss beweisen, dass und weshalb er für den vorgeworfenen Verstoß nicht verantworlich ist, dass ein Ermittlungsfehler oder ein Auskunftsfehler beim Provider vorliegt. Für viele der Beweise fehlen dem redlichen Internetnutzer bereits die Anknüpfungstatsachen, er hat faktisch keine Möglichkeit sich zu entlasten. Viele Gerichte treiben Betroffene in einen teuren Vergleich, da man andernfalls ein Sachverständigengutachten zur Richtigkeit der Ermittlungen der Abmahnindustrie in Auftrag geben müsste. Kostenpunkt: einige Tausend Euro. Da Rechtsschutzversicherungen grundsätzlich keine Deckungszusage im Urheberrecht übernehmen müssen, beißt fast jeder Beklagte in einem solchen Verfahren in den sauren Apfel und akzeptiert den Vergleich. Denn mit den Kosten des Sachverständigen würde es nochmals erheblich teurer. Manche Gerichte machen es sich recht einfach und drohen einfach mit den Kosten des Sachverständigengutachtens, wenn ein Vergleich nicht akzeptiert wird. Rechtsstaatlich halte ich diese Gerichtspraxis für äußerst bedenklich.
Wege, der Abzocke mit Abmahnungen ein Ende zu bereiten, gibt es viele. Nur ist bislang noch kein Weg konsequent beschritten worden. Die Einführung von § 97 a Abs. 2 UrhG war ein Flop. Die Vorschrift sieht eine Begrenzung der Anwaltskosten auf € 100,00 vor, wird jedoch von der ganz überwiegenden Rechtsprechung mit teils abstrusen Begründungen nicht angewandt. Da sich die Abmahnindustrie das Gericht aussuchen kann, an dem Klage erhoben wird, haben die Gerichte am meisten Beschäftigung, die am strengsten sind. So hat das Amtsgericht München unlängst eine neue Richterstelle für Urheberrecht geschaffen. Und in Hamburg hat man manchmal ohnehin den Eindruck, dass die Gerichte einfach jeder Klage stattgeben ohne sich überhaupt inhaltlich mit den entscheidenden Fragen auseinanderzusetzen. Die Staatskasse kassiert gerne mit.
Eine Lösung könnte die Abschaffung des sog. fliegenden Gerichtsstands sein. Wenn zukünftig der deliktische Gerichtsstand für Urheberfälle abgeschafft werden sollte, könnte jeder Anschlussinhaber nur noch an seinem Wohnort verklagt werden. Dies könnte das bislang übliche sog. Forum Shopping, das Aussuchen des strengsten Gerichts, verhindern.
Einen anderen Schritt geht jetzt das Bundesjustizministerium. Es schlägt vor, den Gegenstandswert bei Filesharing-Abmahnungen auf € 500,00 zu reduzieren. Damit betrügen die Abmahnkosten einschließlich Umsatzsteuer € 83,54 und somit deutlich unter den heutigen Forderungen. Und - wenn ich mir eine persönliche Anmerkung erlauben darf - immer noch über dem tatsächlichen Arbeitsaufwand der Abmahnkanzleien. Hiergegen wird jedoch eingewandt, bei einigen Werken (wie teurer Software) sei dies nicht sachgerecht, wenn der Verkaufspreis bei mehreren Tausend Euro liegt. Diese Kritik ist sicherlich berechtigt. Allerdings ist es heute der Regelfall, dass Musikalben, Filme oder Computerspiele abgemahnt werden. Und die werden eben nicht für mehrere Tausend Euro verkauft, sondern für jeweils nur ein paar Euro. So wäre eine grundsätzliche Begrenzung des Gegenstandswerts auf € 500,00 sinnvoll und sachgerecht, wenn man gleichzeitig für den - seltenen! - Fall des Downloads teurer Werke Ausnahmen zulässt.
Viele Wege sind möglich und manche davon führen zum Ziel. Man muss nur wollen!
Einen interessanten Beitrag ztum Thema habe ich heute in der Financial Times Deutschland gelesen:


Eingestellt am 15.05.2012 von Rechtsanwalt A. Forsthoff
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